Reisebericht eines Lischa-Priesters
Wir schreiben den ersten Tag unserer neuen Zeitrechnung, deren Name noch gefunden werden muss. Gefunden, wie so vieles.
Mein Name ist Leander, ich bin erster Schreiber des Ringburger Lischatempels. Zumindest war ich das bis gestern, denn heute finde ich mich auf einem Schiff wieder. „Rose des Nordens“ heisst unser Transportmittel in eine ungewisse Zukunft, und sie ist vollbeladen mit Lebensmitteln, Werkzeugen und Alltagsgegenständen, die reichen würden, um eine 40köpfige Armee für mehrere Wochen am Leben zu erhalten.
Aber wir sind keine 40 Krieger, wir sind lediglich 16 Priester des Lischaordens, die ihren Hohepriester Levan Scharus begleiten auf einer Mission, deren Ursprung nahezu so unglaublich ist wie die Tatsache, das wir uns auf diesem Schiff befinden und just die Bucht von Ringburg verlassen. Der Ursprung unserer Mission lag im Mondwald, genauer gesagt bei den Einhhörnchen. Eskortiert von zwei unserer Novizen, die explizit von ihnen angefordert wurden, verliessen ein weißes und ein schwarzes zum ersten Mal den Mondwald, um uns in Ringburg aufzusuchen.
Was genau zwischen ihnen und Levan Scharus gesprochen wurde in den letzten Wochen, weiß ausser ihnen wohl keiner, dennoch ist für jeden klar, daß unsere Reise ohne sie niemals stattfinden würde. Die freundlichen, kleinen Wesen begleiten uns auch, und erneut haben sie zu ihrer Eskorte die beiden Novizen Lili und Schascha angefordert. So besteht unsere Expedition aus Levan Scharus, 14 Priestern inklusive meiner Wenigkeit, 2 Novizen, den Einhörnchen und der 8köpfigen Besatzung der Rose des Nordens. Wie lang unsere Reise dauern wird, kann man nur anhand der Vorräte im Laderaum erahnen, doch gerade wird Lischau hinter uns immer kleiner, als wir in nordöstlicher Richtung davonsegeln…
3 Volle Tage und ein halber sind wir bereits auf See, und soeben wurde verkündet „Land in Sicht“. Die Rose des Nordens steuert auf eine Küste zu, und alle Priester und besonders die beiden Novizen drängeln sich am Bug des Schiffes, um Blicke auf das Land erhaschen zu können.
Ich selbst konnte einen kurzen Blick riskieren, offenbar handelt es sich um eine Insel, deren Größe nicht mit den Ausmaßen von Lischau zu vergleichen ist, jedoch möglicherweise mit der Größe eines der Fürstentümer. Genau kann man das jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, vielleicht ist es doch nur die Halbinsel eines mächtigen Kontinents. Die Beschaffenheit der Küste selbst kann man noch nicht erkennen, jedoch sah ich viel Grün. Dieses Land scheint von Vilara gesegnet zu sein auf den ersten Blick, es macht einen gesunden Eindruck.
An Bord des Schiffes wird es langsam unruhig, während die Besatzung das Ankern vorbereitet und das kleine Beiboot abdeckt, sind alle Priester dabei, sich aufgeregt zu unterhalten, ihre persönlichen Sachen zusammenzupacken und sich auf den Landgang vorzubereiten. Einzig Levan scheint in seiner persönlichen Kabine nichts von dem Trubel mitzubekommen, kein Laut dringt heraus. Vielleicht schläft er, doch meinen Einschätzungen nach, bereitet er sich meditativ auf dieses neue Land vor.
Nun greift auch die Unruhe auf mich über, und ich beschliesse, meinen Bericht fortzusetzen, nachdem ich genaueres erfahren habe.
Wir schreiben den 20. Tag unserer neuen Zeitrechnung, deren Name noch gefunden werden muss.
Lange habe ich nicht geschrieben, doch ich fand hierzu die Ruhe nicht. Etwas so aufregendes, so schönes und so geheimnisvolles wie dieses neue Land kann auch einen Schreiber vom Schreiben abhalten.
Nachdem wir von Bord der Rose des Nordens gegengen waren und mit Beibooten den Strand erreicht hatten, wurde als erstes ein Lager hier eingerichtet. Zelte wurden aufgestellt und Ausrüstung vom Schiff angeliefert. Dieses Land ist friedlich, Gefahren konnten bisher keine ausgemacht werden. Und so wagten sich die ersten Priester schon nach nur einem Tag weiter in den Wald hinein, der sich hinter dem Strand in offenbar unendliche Dimensionen ausbreitet. Auch mich hat es nicht lange im Lager gehalten, und so begleitete ich in den letzten Tagen mehrere Erkundungsgänge, teilweise sogar über 2-3 Tage.
Nun, was kann ich Euch von unserem neuen Land berichten?
Es scheint sich um eine von Menschen unberührte Insel zu handeln, deren Küsten teilweise erdig-sandig, teilweise direkt bewaldet sind. Im Süden der Insel entdeckten wir einen Fluß, der ins Meer mündete, und folgten seinem Lauf, um den atemberaubendsten Anblick zu erhalten, den die meisten von uns wohl je sahen: der Fluß entspringt offensichtlich aus einem See, der nahezu so groß wie die Stadt Ringburg ist und der von einem weiteren Fluß versorgt wird. Dieser scheint seine Quelle im Westlichen Teil der Insel zu haben, hier gibt es auch, weit über fast die gesamte Insel sichtbar, einen Berg, vergleichbar mit der Höhe des Schwarzen Berges in Felsental, jedoch nicht so weit ausladend.
Doch die Insel ist nicht überall dicht bewaldet, es gibt größere Lichtungen und sogar Wiesenlandschaften im Inneren der leicht hügeligen Insel. Der Boden scheint fruchtbar zu sein, denn hier wachsen Pflanzen, die noch keiner von uns je gesehn hat, inmitten von uns wohlbekannten Pflanzen. Auch die Tierwelt scheint unberührt zu sein, neben Vögeln verschiedenster Arten gibt es auch Nagetiere, kleine Echsen, Wildkatzen, Hirsche, Rehe, und laut Schascha hätte man des Nachts auch Wolfsgeheul vernehmen können.
Wir haben schätzungsweise ein Viertel der Insel bisher erkunden können, und kein Anzeichen von Zivilisation. Die Einhörnchen möchten uns in den nächsten Tagen begleiten, uns den Weg weisen, den Weg zu unserem Ziel…
Viele Tage sind vergangen, seit ich meinen letzten Eintrag machte. Nun, ich möchte schildern, was geschehen ist: unglaubliches und wunderbares!
Nachdem wir die Insel näher erkundet hatten, fanden wir mit Hilfe der Einhörnchen unser Ziel: tief im unberührten Wald dieser Insel wurden wir Augenzeugen eines schrecklichen und doch faszinierenden Anblicks, bestehend aus purem Chaos, bunt schillernd und doch tiefschwarz. Wir näherten uns vorsichtig den drei Halbkugeln, die aus reiner Energie zu bestehen schienen, und Levan Scharus trat hervor und rief Lischa an, um das wahre Gesicht dieser Objekte sehen zu können.
Nach mehreren Minuten voller Konzentration, umgeben von der Stille des Waldes und der staunenden Stille von uns Priestern, brach er plötzlich zusammen, und Blut quoll aus seinem Mund. Sofort eilten wir ihm zu Hilfe. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder ruhig atmen konnte und seine Augen aufschlug, um uns in kratziger Stimme mitzuteilen: „Das…..sind die Gefängnisse der…. Kinder…..“
Gestützt von anderen Priestern brach Levan Scharus auf, um das Lager zu verständigen. Wir brauchten für den Rückweg fast 3 Tage, und als wir ankamen ordnete unser Hohepriester an, dass die Rose des Nordens sofort ablegen sollte, um in Lischau Verstärkung durch die Ringburger Hohepriester Karans, Vilaras und Yogols zu holen. 4 Unserer Priester ruderten zurück zum Schiff, nur um eine Woche später zurückzukehren.
In der Zwischenzeit wurden 4 weitere Priester zu den chaotischen Gefängnissen entsandt, um dort die Umgebung vorzubereiten… vorzubereiten auf die große göttliche Macht, die in einigen Tagen hier freigesetzt werden sollte. Die Einhörnchen getragen von den Novizen begleiteten sie.
Als die Rose des Nordens zurückkehrte, waren wir alle mehr als aufgeregt. Sollte dies bedeuten, dass endlich wieder Ordnung nach Lischau zurückkehren sollte?
Die Hohepriester mit ihren Gefolgen verliessen das Schiff und liessen zusätzliche Zelte aufstellen, nur um nach einer kurzen Stärkung sofort aufzubrechen. Was für ein Anblick das war, noch nie hatte ich die vier Hohepriester Ringburgs gemeinsam gesehen, noch nie war es von so großer Bedeutung, dass sie alle dasselbe Ziel verfolgten. Und so brachen wir alle, nur 4 Priester im Lager zurücklassend, auf, um die Stelle im Wald aufzusuchen, an der bald wunderbares geschehen würde…
Nach 3 Tagen Marsch erreichten wir unser Ziel. Die 4 Priester und die Novizen hatten gemeinsam mit den Einhörnchen ganze Arbeit geleistet, und die Umgebung gereinigt und von störenden Energien befreit. Sie hatten bereits rund um die Halbkugeln den Boden geebnet und aus Steinen Kreise für die mächtigen Rituale angeordnet.
Was nun geschah, kann ich nicht wiedergeben, mein Bewusstsein wurde offenbar so wie das aller anderen Anwesenden, gelähmt. Alles, woran ich mich erinnere, ist die Aufstellung der Hohepriester und ihrer Priester rund um die Halbkugeln, die Einstimmung in einen Gesang, und dann seh ich nur noch bunte und schwarze Explosionen vor mir, bevor meine Erinnerung in eine tiefe Leere übergeht.
Als ich erwachte, lag ich so wie alle anderen Priester am Boden, viele von ihnen waren noch bewusstlos, nur die beiden Einhörnchen tobten fröhlich durch den Wald, der Wald ohne Halbkugeln. Sie waren spurlos verschwunden. Doch ich fühlte tief in mir ein angenehmes Gleichgewicht, ein Gefühl der Vollkommenheit, wir waren offensichtlich erfolgreich gewesen…
Nach 3 Tagen Rückweg zum Lager fand dort eine Versammlung statt, eine Versammlung in der die 4 Hohepriester beschlossen, diese Insel als Heiligtum weiterzuführen, von jedem Orden einen Hohepriester und sein Gefolge hier anzusiedeln.
Die Rose des Nordens verliess ein weiteres Mal die Insel, nur um zwei Wochen später gefolgt von 5 weiteren Schiffen, beladen mit Priestern, Handwerkern, Baumaterialien und vielen benötigten Werkzeugen zurückzukehren. Wenige Tage später begannen die Bauarbeiten für vier neue Tempel, verstreut über die ganze Insel…
Patrideus wurde geboren.